In einem Forum wurde Kathrin Vogler, Linke, aus der 1. Lesung des #SBGG erwähnt, die von einem "Geist des Misstrauens statt vom Vertrauen in die Fähigkeit von trans- und intergeschlechtlichen sowie non-binären Menschen, über ihr Leben selbst zu bestimmen" gesprochen hatte..
"Geist des Misstrauens! Damit wird doch deutlich, dass die Vorbehalte gegen Transgender warm gehalten werden."
Ich finde auch viele Passage im Gesetz überflüssig, teilweise Unfug, usw. Bei dem Misstrauen möchte ich aber noch eine andere Perspektive zu bedenken geben, die eng mit der ganz wesentlichen, ich sage mal revolutionären Änderung durch das SBGG im Personenstandrecht verbunden ist.
Die Perspektive ist die rein juristische und die wesentliche Änderung, dass es im Unterschied zu fast allen anderen staatlichen Registrierungen im Personenstand dann völlig unerheblich ist, warum du den Eintrag ändern willst.
Formal steht drin, dass du deine ernsthaft empfundene Geschlechtsidentität bekundest, aber wie du darauf kommst ist dann vollkomen ohne Belang. Sprich: Du musst nicht trans, inter, nichtbinär sein, um das zu tun.
Das ist genau der Punkt, wo CxU etc die Köpfe platzen. Dass der Staat eine rechtliche Kategorie schafft, aber die Zuordnung völlig ungeprüft, nicht objektiv begutachtet, sondern selbstbestimmt ist.
Sie vergessen dabei, dass es im Personenstandsregister bereits eine solche Kategorie gibt: Den Religionseintrag. Oder sie erkennen die Analogie und explodieren, weil in ihren Augen die rechtliche Zuordnung - geht ja nur darum, "ob sie zukünftig als Frau oder Mann Post vom Amt bekommen"[1] - keine Glaubenssache sein darf. Geschlecht soll ihrer Meinung nach einen Unterschied machen, und es soll "biologisch definiert" sein[2].
Wie auch immer; die Juristys haben ein ganz anderes Problem: Wenn es keine staatliche Korrektheitsprüfung gibt, können das neben trans, inter, nichtbinären Personen auch alle anderen nutzen. Theoretisch. Praktisch wird das kein Leut ohne Not tun, weil es a) keine rechtlichen Vorteile bringt, b) mit viel Zusatzaufwand für neue Papiere etc verbunden ist und c) im persönlichen Umfeld möglicherweise erhebliche Verwerfungen erzeugen wird, solange "Geschlecht!" in den Köpfen der meisten Menschen derart bedeutungsvoll aufgeladen ist.
Juristys sehen sich also in der Pflicht, jeglichen "Missbrauch" zu verhindern, ohne Zugangsvoraussetzungen oder Prüfungen zu haben. Deshalb die Ausschlüsse von Sport, Medizin, geschützten Räumen und die Aussetzung im V-Fall.
Aus juristischer Sicht ist das nicht unbedingt Misstrauen gegen trans, inter oder nichtbinäre Personen. Sondern das Misstrauen richtet sich quasi gegen alle (anderen), die sich dadurch irgendwelche Vorteile verschaffen wollen. Egal ob cis, trans, inter oder nichtbinär.
Das ist die wohlwollende Perspektive.
Die andere ist: "Wir machen mit dem SBGG jetzt erstmals explizit die Rechte und Wirksamkeiten des Geschlechtseintrags so klein, dass wir nichts anderes regeln müssen, reiben uns die Hände, weil die trans Leute ihre "Selbstbestimmung" haben und sind fein raus, ohne wirklich was getan zu haben". Das ist so der Spruch aus der alten Flens-Werbung: "Den Eintrag kannst' fein ändern. Dein' Vornamen auch. Aber nützen tut dir das auch nix".
Zum Beispiel wird eben nicht geregelt, das trans Personen angemessen in Sport etc berücksichtigt werden sollen. Es ist keine Verpflichtung darin, für angemessene Teilhabe zu sorgen. Es wird kein Anspruch auf medizinische Unterstützung nach jeweils aktuellem Stand der Wissenschaft definiert. Es gibt keine eigene Rechtsgrundlage, nichtbinäre in einer vielfach zweigeteilten Welt zu berücksichtigen. Und so weiter.
Ich neige ein wenig zu dieser zweiten, hinterfotzig erscheinenden Perspektive und unterstelle gerade dem federführenden Minister Marco Buschmann, dass er schon was verbessern möchte, aber bitte mit möglichst wenig Aufwand.
Das hat zwei Konsequenzen. Für "uns" ändert sich tatsächlich letztlich nur der Wegfall der Gutachten und des Gerichtsverfahrens. Dafür ist diese Minimaländerung tatsächlich ohne riesigen Ressortabgleich, Einsprüche, Widerstände und Kompromisse mit diversen Interessenvertretungen etc. ohne Zustimmung des Bundesrats durchbringbar.
Mag ein jedes Leut sich was dazu denken. Es bleibt der fundamentale Unterschied in der Betrachtung von "Geschlecht", wie oben beschrieben: Auf der einen Seite die Freiheit nach eigener Entscheidung in einem der drei bis vier (rechtlichen) Teams zu spielen, und auf der anderen Seite diejenigen, die am liebsten eine rein "biologisch" definierte Zweigeschlechtlichkeit hätten, die das ganze Leben durchzieht und auch die Leute von allen eindeutig festgenagelt werden können.
Dabei lässt ersteres allen die Freiheit, rein cis-binär zu leben, das andere aber schränkt alle ein. Der Konflikt lässt sich nicht durch Kompromisse auflösen. Das Misstrauen gegen trans, inter und nichtbinäre Personen nicht durch Gesetze abbauen. Aber diesmal machen wir mit dem SBGG vielleicht ein klein bisschen Fortschritt.
[1] Jürgen Lender, FDP in der ersten Lesung am 15.11.23: "Für 99 Prozent der Bevölkerung ändert sich überhaupt nichts. Für transidente Erwachsene ändert sich, dass sie keine entwürdigende Begutachtung mehr brauchen und nicht mehr zum Amtsgericht gehen müssen. Es ist hier jetzt oft schon sehr simpel geredet worden. Wenn ich das mal so sagen darf: Was sich wirklich ändert, ist, ob sie zukünftig als Frau oder Mann Post vom Amt bekommen. Selbst im Personalausweis steht ihre ge- schlechtliche Identität nicht drin. Mehr, meine Damen und Herren, ändert sich nicht."
[2] Mareike Lotte Wulf, CDU/CSU: "Geschlecht ist immer biologisch fundiert und gerade nicht frei wählbar. ... der Gesetzgeber ... muss abwägen zwischen den legitimen Interessen der Betroffenen an Selbstbestimmung und den legitimen Interessen des Staates und der Gesellschaft an Verlässlichkeit des rechtlichen Geschlechts.". Die Frage von Judith Skudelny, FDP, liess sie unbeantwortet, "inwieweit ein rechtliches Geschlecht [angesichts der Gleichberechtigung der Geschlechter] im Jahr 2023 Unterschiede macht".
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