Jan Böhmermann in der Zeit. Vollkommen un-satirisch. Make It So.
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Unsere Welt ist nicht schrecklich kompliziert geworden, sie war es immer schon. Alles war und ist immer bedrohlich, neu, unbekannt, riskant, Furcht einflößend und hoffnungsvoll zugleich. Darüber haben Menschen von gestern leider ihre Übersicht und die einzige wahre, ewig gültige Gewissheit verloren: Einander ist alles, was wir haben.
Wenn jetzt jene, die sich diese Überzeugung bewahrt haben – wir Menschen von heute und Menschen von morgen joyful zusammenarbeiten, könnte es klappen:
Menschen von heute verschaffen Menschen von morgen eine Stimme, bringen sie auf die relevanten Bühnen, heben sie auf die höchsten Sockel, lassen sie vor die Mikrofone und Kameras und übereignen ihnen die Leitartikel.
Und Menschen von morgen revanchieren sich, indem sie klügere, inklusivere Erzählungen für unsere Gegenwart und Zukunft finden. Neue, bessere Erzählungen, die Gemeinschaft beschreiben und Hoffnung auf eine freundliche Zukunft einschließen.
Gemeinsam gegen Menschen von gestern! So könnte es klappen! Entmachten wir sie (natürlich in freundschaftlicher Verbundenheit zu ihnen und zutiefst dankbar für alles, was sie geleistet haben)! Nicht mit Gewalt, nein, wir müssen grausamer sein: Wir müssen sie so oft und wo immer es geht an die Grenzen ihrer intellektuellen, politischen und moralischen Kapazität bringen, bis sie uns entweder eines Tages auf unserer Seite des Grabens als Besiegte die Hand zur Versöhnung reichen oder sich selbst zerreißen wie Rumpelstilzchen! Schrecken wir nicht davor zurück, gemeinsam und mit aller Kraft Menschen von gestern immer und immer wieder jene eiskalten Selbstverständlichkeiten entgegenzuschmettern, vor denen sie sich am allermeisten fürchten! Am besten, wenn sie am wenigsten damit rechnen:
- Der Verbrennungsmotor ist am Ende, Elektromobilität ist die Zukunft, China baut viel bessere E-Autos als Deutschland und daran wird sich in den nächsten zehn Jahren nichts ändern.
- Inklusive Sprache ist eine prima Idee.
- Das Bündnis Sahra Wagenknecht ist in erster Linie nicht eine linkspopulistische, demokratische oder gar linke Bewegung, sondern eine autokratische.
- Öffentliches Parken von Kfz ist viel zu billig, Bußgelder für Verkehrsverstöße sind viel zu niedrig.
- 120 km/h auf der Autobahn ist schnell genug.
- Google vergesellschaften, Meta regulieren, X zur Verantwortung ziehen!
- Wer aus dem Gefühl der Abgehängtheit freiwillig Menschen von gestern wählt, darf sich nicht wundern, wenn das Gefühl der Abgehängtheit danach noch stärker wird. Es wird ganz, ganz finster werden für Sachsen, Thüringen und Brandenburg.
- Kraftwärmemaschinen statt Wärmekraftmaschinen! Wärmepumpen sind spitze! Ihnen gehört die Zukunft!
- Es gibt mehr als zwei Geschlechter, unendlich viel mehr Geschlechtsidentitäten, und allen Menschen stehen, unabhängig von Geschlechtsidentität oder sexueller Orientierung (die etwas vollkommen anderes ist!), dieselben Rechte zu.
- Es heißt Schokokuss.
- Wer Alice Schwarzer hinterherläuft, hat keinen besonders anstrengenden und langen Weg mehr vor sich.
- Russland muss besiegt werden.
- Wir brauchen eine Vermögenssteuer und eine signifikante Erhöhung der Erbschaftssteuer.
- Pyrotechnik ist doch kein Verbrechen. Und private Seenotrettung auch nicht.
- Einander ist alles, was wir haben.
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Your Hangryness Mg. Unfuchs, Mo 🏳️🌈, daftwullie, daftwullie und Leela Torres :nona: haben dies geteilt.
Jaddy
Als Antwort auf Jaddy • •Die intellektuelle Version des Böhmermann'schen Artikels von gestern.
"Die Grünen moralisieren gar nicht!"
zeit.de/politik/deutschland/20…
archive.ph/XVNbH
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... mehr anzeigenDer Hauptvorwurf gegen die Grünen lautet: Sie moralisieren. Sie machen den Menschen ein schlechtes Gewissen, wollen sie mit Verboten und Vorschriften erziehen. Das – so geht die Kritik von Söder, Linnemann, Merz, Dobrindt, Spahn, Wagenknecht, Weidel, Lindner, Dürr, die Kritik von Bild, Welt, FAZ – gehe den Menschen zu Recht zunehmend auf den Geist, entfremde sie von der Demokratie und schade selbstredend den eigentlichen Anliegen der Grünen, wie zum Beispiel dem Klimaschutz, den doch eigentlich alle wollen würden, wenn die Grünen ihn nicht so moralisierend vertreten würden.
Die intellektuelle Version des Böhmermann'schen Artikels von gestern.
"Die Grünen moralisieren gar nicht!"
zeit.de/politik/deutschland/20…
archive.ph/XVNbH
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Der Hauptvorwurf gegen die Grünen lautet: Sie moralisieren. Sie machen den Menschen ein schlechtes Gewissen, wollen sie mit Verboten und Vorschriften erziehen. Das – so geht die Kritik von Söder, Linnemann, Merz, Dobrindt, Spahn, Wagenknecht, Weidel, Lindner, Dürr, die Kritik von Bild, Welt, FAZ – gehe den Menschen zu Recht zunehmend auf den Geist, entfremde sie von der Demokratie und schade selbstredend den eigentlichen Anliegen der Grünen, wie zum Beispiel dem Klimaschutz, den doch eigentlich alle wollen würden, wenn die Grünen ihn nicht so moralisierend vertreten würden.
[...]
Tatsächlich passiert auf dem Felde der Moral nicht nur in Deutschland, sondern in allen westlichen Ländern gerade Epochales; eine dramatische Umwertung des gewöhnlichen Lebens, der bisherigen Normalität vollzieht sich. Denn bis vor Kurzem konnten sich die Menschen in den reichen Ländern sagen (oder einreden), dass der weit überwiegende Teil ihres Tuns überhaupt kein Gegenstand von moralischen Urteilen oder auch nur Erwägungen sein konnte, weil dieses Tun keine oder fast keine negativen Wirkungen für Dritte hatte.
Das aber macht den Unterschied aus zwischen Moral und Moralisieren. Moral kommt nur dann zur Anwendung, wenn Dritte ernstlich betroffen sind, das Moralisieren hingegen bewertet auch das Tun anderer, wenn das nicht der Fall ist, verurteilt beispielsweise sexuelle Orientierung oder religiöse Überzeugung oder auch deren Fehlen. In diesem Sinne moralisieren die Grünen nicht in normative unschuldige Lebensbereiche hinein, vielmehr dehnen sich diese Lebensbereiche dorthin aus, wo die Grünen schon sind.
Lange Zeit konnte die grüne Kritik am Autofahren, am Fliegen, am Fleischessen, am Kleiderkonsum, am Tourismus und all dem als moralisierend gewertet und zurückgewiesen werden, weil die Nebenfolgen dieses Tuns als marginal gelten durften. [...]
Das allerdings galt nur in jenen selig-unseligen Jahrzehnten, als die reichen westlichen Länder die Nebenfolgen und Kollateralschäden ihrer Lebensweise, die Gifte, das Mikroplastik oder die Treibhausgase abschieben konnten – in die Meere, in die Atmosphäre, in die Böden, in den Globalen Süden und in die Zukunft. Diese Phase ist jedoch vorbei. Ende, aus, over. Aus zwei Gründen: Zum einen hat der Westen immer weniger die Macht, die geopolitischen Nebenwirkungen seiner fossilen Lebensweise in Schach zu halten. Russland oder Saudi-Arabien spielen nun einfach mit den Milliarden, die sie aus dem Westen über all die Jahrzehnte bekommen haben, ihr eigenes Spiel. Zweitens und vor allem: Die Nebenfolgen der westlichen Lebensweise waren immer schon kumulativ, die Fässer liefen voll. Nun hat sich so viel angehäuft, dass die Zukunft, in die man alles abgeschoben hat, in der Gegenwart angekommen ist. [...] Fast alle Fässer sind mittlerweile so voll, dass jeder weitere Tropfen sie zum Überlaufen bringen kann.
[...]
Die Welt außerhalb der Moral verwandelt sich also in eine voll moralisierte Welt, das ist so leicht zu verstehen und dabei so schwer zu bewältigen, dass der Gedanke wahrscheinlich gerade deshalb so hart bekämpft wird. Mit allen Mitteln. Eines der harmloseren Mittel besteht in der Vorstellung, dass die Epoche der Nebenfolgenverantwortung allein durch technischen Fortschritt wieder zum Verschwinden gebracht werden kann.
[...]
Zu den weniger harmlosen Mitteln, um die neue Epoche zu verleugnen, gehört überall in den westlichen Ländern der Versuch, die neuen Anforderungen durch einen entfesselten Egoismus auszugleichen. Schluss mit dem verträumten Altruismus, mit dieser Werteduseligkeit! Stattdessen Amerika/Deutschland/Großbritannien zuerst!
[...]
Die meisten Menschen verstehen oder spüren vermutlich, dass weder technische Wunder noch verschärfte Ruchlosigkeit allein die Nebenfolgenfreiheit zurückbringen werden. Deswegen erleben wir in verschiedenen politischen und kulturellen Varianten einen regelrechten Aufstand gegen die Welt der Nebenfolgen, in die man geraten ist, gegen die Vertreibung aus dem Paradies der Privilegien, gegen den Verlust der Naivität. Das ist es, was den Westen zutiefst bewegt und verstört.
[...]
Im Grunde bleibt den Grünen nur, in dieser Hinsicht zu sich selbst zu stehen und eine dazu passende Sprache und Politik zu entwickeln, was aber noch nicht geschehen ist. Und solange sich das nicht ändert, werden Markus Söder und all die anderen versuchen, am Aufstand gegen die Welt der Nebenfolgen, gegen das Erwachsensein-Sollen und gegen die materiellen Realitäten teilzuhaben, indem sie die Grünen beschimpfen, bekämpfen und verballhornen. [...] Damit stellen sich die anderen Parteien jedoch nicht nur frontal gegen die Grünen, sondern auch mit dem Rücken zu einem großen Teil der Wirklichkeit auf, jener Wirklichkeit, die sie bearbeiten müssen, wenn sie regieren. CDU, CSU und FDP basteln sich damit also ihre eigene Legitimationsfalle und sind vorerst im 21. Jahrhundert nur bedingt regierungsfähig.
Nicht die Grünen sind es nämlich, die die Lebensweise der Menschen moralisieren. Die Lebensweise der (meisten) Menschen selbst hat neue moralische Tatbestände geschaffen und schafft sie jeden Tag ein wenig mehr. Wenn die westlichen Gesellschaften weiter mit ihren kumulativen Nebenfolgen die Freiräume zumöbeln, dann werden sie irgendwann an dieser Moralisierung ersticken. Und dafür können die Grünen dann ausnahmsweise mal nichts.
----- Zitat Ende -----
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stevE 🌼, daftwullie, daftwullie, Klaus Stein, Zugmuth das zornige Zebra, Andreas - RR1426 und Futschijy haben dies geteilt.